Miniaturwelten in Markness

Zwischen Moos und Miniaturwelten


Aus dem „Waterloopbos“

Das Licht fällt gedämpft durch das Blätterdach, es riecht nach feuchtem Holz und Erde. Wer den
„Waterloopbos“ in Marknesse in der niederländischen Provinz Flevoland betritt, spürt sofort, dass dies
kein gewöhnlicher Wald ist. Zwischen Birken und Erlen blitzen Betonmauern hervor, kleine Kanäle ziehen
sich durchs Unterholz. Denn der Wald überwuchert eine einzigartige Testanlage für Wasserbauwerke. In
einer Zeit ohne KI und Computermodelle wurden diese Anlagen damals im Maßstab 1 zu 20 nachgebaut,
im Auftrag der niederländischen Regierung. Später eroberte sich die Natur das Gelände zurück.


Ein Freiluftlabor für die Küsten der Welt

Auf einer Fläche von 90 Hektar entstand hier nach dem Zweiten Weltkrieg, im jungen Poldergebiet, ein
einzigartiges Freiluftlabor. Niederländische Wasserbauingenieure errichteten maßstabsgetreue Modelle
von Häfen, Dämmen und Küsten. Im Wald wurden ganze Landschaften nachgebaut: die Häfen von
Rotterdam und Lagos, Schleusenanlagen für den Persischen Golf – und sogar die berühmten Deltawerke,
die nach der Flutkatastrophe von 1953 gebaut wurden, um die Niederlande mit Dämmen, Schleusen und
Sperrwerken vor dem Meer zu schützen.


Hermann Schilt, der für die Naturschutzorganisation Natuurmonumenten Führungen durch den Wald
anbietet, bleibt vor einem überwucherten Betonbecken stehen. „Es ist, als ob die Natur sich hier die alten
Modelle langsam wieder zu eigen macht“, sagt er. Hier wurden etwa die Oosterscheldewerke im Modell
getestet, die Teil der sogenannten Deltawerke sind. Mit dem Modell im Waterloopbos habe man sehen
wollen, ob die Schließung der Mündung funktionieren konnte, ohne die Natur komplett abzuschneiden,
erläutert er. Der ehemalige Dozent kennt den Waterloopbos seit Jahrzehnten.


Miniaturwelten für die ganze Welt

Andere Modelle klingen heute fast wie Geschichten aus einem Technik-Roman: Auf der Maasvlakte wurde
das Kühlsystem für ein gigantisches Kraftwerk getestet. Dafür brauchte man Strömungen wie in einem
Fluss: 600 Kubikmeter Wasser pro Sekunde. Um die Bewegungen sichtbar zu machen, streuten die Forscher
farbige Papierstückchen ins Wasser und fotografierten sie von einer hohen Leiter.

Auch das Modell des Hafens von Bangkok bauten die Ingenieure nach: Um die Einwanderung von
Salzwasser zu verstehen, erschufen sie einen Miniaturhafen. „Im Winter lernten die thailändischen Kollegen
hier im Polder sogar Schlittschuhlaufen – auf den zugefrorenen Wasserflächen ihres eigenen Modells“,
erzählt Schilt und lächelt. Jahrzehntelang sei im Waterloopbos im Kleinen gebaut worden, was später die
Küsten der Welt schützen sollte: „Die Wasserbauwerke im Wald sind wie eingefrorene Gedanken von
Ingenieuren“, sagt er philosophisch: „Monumente einer Zeit, als die Niederlande mit Miniaturwelten
experimentierten.“


Wo Natur und Technik ineinanderfließen

Ein Spaziergang durch den Waterloopbos ist eine Zeitreise. Auf den Pfaden wechseln sich Vogelrufe mit
dem Murmeln kleiner Wasserläufe ab. Zwischen Farnen und Sträuchern ragen Schleusen, Wehre und
Kanäle hervor. „Man hat das Gefühl, durch ein offenes Geschichtsbuch zu gehen, in dem jede Schleuse,
jedes Modell, ein Kapitel erzählt“, sagt Schilt. „Der Waterloopbos ist kein klassisches Museum, sondern ein
lebendiges Archiv: ein Ort, wo Natur und Technik ineinander verschmelzen.“


Neben den Bauwerken entfaltet sich heute eine überraschend reiche Natur. Mehr als 90 Moosarten
wachsen hier, dazu hunderte Pilzarten. Eisvögel nisten in den Uferböschungen, Libellen und Schmetterlinge
flattern über die Kanäle. Selbst Fledermäuse haben den alten Bangkok-Schuppen besetzt. Es ist ein
exotisches Erbe, das sich in der Stille des Waldes erhalten hat. Gerade in Zeiten des Klimawandels bekommt
der Waterloopbos neue Aktualität. Er erzählt von der ständigen Auseinandersetzung der Niederlande mit
dem Wasser – und davon, wie Natur und Technik einander bedingen. „Es ist wie eine Erinnerung daran,
dass wir unser Verhältnis zum Wasser immer neu verhandeln müssen“, sagt Schilt. (bd)

von Dr. Barbara Driessen, Marknesse


Marknesse ist ein Dorf in der niederländischen Provinz Flevoland. Es gehört zur Gemeinde Noordoostpolder und liegt etwa 7,5 Kilometer östlich von Emmeloord. Marknesse wurde erstmals 1950 als Marknesse erwähnt und ist eine Kombination aus Grenzland und Landzunge. Benannt wurde es nach einem überfluteten Dorf in der Nähe von Urk.

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Alle Fotos: NBTC



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